Was wir brauchen, sind Nachdenker

Zeitzeuge Peter Dietz

Peter Dietz ist 1963 in die SPD eingetreten. Er weiß, dass er immer streitbar war – und er weiß, welche Fundamente die Partei und ihn tragen. Der Ortsverein ist und bleibt für ihn die Keimzelle politischer Arbeit.

Peter, du bist seit 55 Jahren in der SPD, was bleibt für dich über diese lange Zeitspanne hängen, was ist der Kern für dich?

Mich treibt heute mehr denn je die Sorge um die Demokratie an. Wie können wir die Demokratie stärken? Dafür schaue ich einfach in unser Programm. Die Grundsätze aus Godesberg stehen bei mir noch vorne im Parteibuch drin. Es geht um Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität. Diese drei Säulen bedingen einander, das heißt, es gibt die eine nur, wenn auch die anderen beiden existieren. Das ist bis heute so. Und meine SPD ist mitunter zu zaghaft, dafür den Mund aufzumachen. Aus meiner Sicht war sie schon immer zu zaghaft. Und heute ist sie noch zaghafter geworden. Das gilt auch für unseren Ortsverein. Ich wünsche mir mehr Standfestigkeit. Mehr Einsatz für die Arbeitnehmer. Und das fängt in der Hierarchie unten an, bei uns im Ortsverein in Lichtenfels. Demokratie funktioniert nur von unten, davon bin ich überzeugt. Wenn die Basis schläft, dann kann der Bundesvorstand machen, was er will. So einfach will ich denen da oben es aber nicht machen.

Bei der Abstimmung über die Große Koalition und bei der vergangenen Vorstandswahl hast du dünnhäutig gewirkt – bist du nach so vielen Jahren fertig mit der SPD?

Das sind große Themen, die mich natürlich bewegen, und ich habe eine klare Meinung, die im Augenblick nicht die Mehrheitsmeinung in der SPD ist. Mir ist die SPD über diese vielen Jahrzehnte viel zu wertvoll geworden, als dass ich irgendwann aufgebe. Ich werfe die Brocken niemals hin. Aber, ja, ich hoffe auf eine grundlegende Erneuerung der Partei. Sie ist dringend notwendig, auch bei uns im Ortsverein. Für mich sind wir bestenfalls kommunal-politisch, aber viel zu wenig politisch. Die Basis muss doch lebendig sein. Warum wird bei uns jemand Mitglied? Wir sind doch kein Plakatklebeverein für Mandatsträger. Unsere Aufgabe, auch im Ortsverein Lichtenfels ist es, Impulse zu geben – nicht nur für Lichtenfels, auch für die Partei. Jeder kann Anträge stellen, auch welche gegen den Bundesvorstand. Aus meiner Sicht läuft die SPD momentan aus dem Ruder. Daran müssen wir alle arbeiten.

Ist Politik nicht immer ein Erarbeiten von Kompromissen?

Ich stehe für eine basisorientierte Sozialdemokratie. Und ich bin nicht sehr kompromissbereit. Ich argumentiere hart, dann schaue ich, welche Argumente welches Gewicht haben. An mir scheiden sich die Geister, ich weiß das. Entweder schätzt man meine Geradlinigkeit und meine Argumente – oder eben nicht. Die SPD – wie jede Partei – ist nur so gut wie ihre Basis. Und die muss einbezogen werden, die Basis muss sich rühren. Dafür stehe ich. Dafür habe ich auch verzichtet. Zum Beispiel, als es um die Kandidaten für die Stadtratswahl 1972 ging. Da habe ich verzichtet, weil es mir wichtiger war, den Ortsverein voran zu bringen. Ich wollte meine ganze Kraft in die Basisarbeit legen. Das Gleiche passierte, als es um das Landtagsmandat ging. Ich sollte parteiintern gegen Otto Schumann kandidieren. Ich habe das abgelehnt – aus den gleichen Gründen.

Was waren denn die Phasen, von denen du heute noch zehrst?

Klar waren das immer die Kommunalwahlkämpfe. Und mein persönlicher Höhepunkt, war ganz sicher der Wahlkampf 1991 mit und für Fred Bogdahn. Wir haben politisches Kabarett gespielt. Es war wirklich ein Bombenwahlkampf – wir haben unsere Kompetenz gezeigt. Es war viel frischer Wind, der Lichtenfels gut getan hat. Als es 2002 nicht mehr geklappt hat, habe ich zu Fred gesagt – trotz aller Kritik, und ich war auch ein Kritiker von ihm, insbesondere in den späteren Jahren – du kannst das Rathaus mit erhobenem Haupt verlassen. Jetzt haben wir eine große Euphorie mit Andreas Hügerich. Er kommt gut an. Was die Partei im Ortsverein, wie auch in der Bundespolitik braucht, ist die Rückbesinnung auf die Fundamente: Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität. Jeder Kompromiss muss darauf bauen, sonst funktioniert es nicht.

Was bringt nun die Zukunft? Was wünschst du dir?

Wir hatten in der SPD zwei große Zäsuren. Das eine war die Kanzlerschaft von Helmut Schmidt, das andere das Wirken von Gerhard Schröder. Da hat sich die Partei von ihren Werten entfernt. Wenn die Bürger nur alle vier Jahre im Bund, alle fünf Jahre im Land und alle sechs Jahre auf kommunaler Ebene gebraucht werden, um ein Kreuz zu machen, dann geht etwas schief. Die Verdrossenheit gegenüber der Politik ist dann verständlich und auch nachvollziehbar. Wir müssen uns – auch wenn es unterschiedliche Strömungen gibt – auf unsere Werte besinnen. Das gilt auch für unseren Lichtenfelser Ortsverein. Und wir müssen unseren Kopf einschalten. Seit Willy Brand wird die SPD nicht mehr als Partei wahrgenommen. Brand war unsere Symbolfigur. Ich habe mich in den Jahren danach immer gegen den Begriff „Vordenker“ gesträubt. Wir brauchen keine Vordenker. Was wir brauchen, sind Nachdenker. Mehr denn je. Das müssen wir in unserem Bewusstsein verankern. Schwätzer und Hetzer dürfen bei uns keine Chance haben.

– Autor: Tim Birkner –