Von der Gründung 1918 bis zum Verbot 1933

Erste Anzeige der SPD Lichtenfels im Lichtenfelser Tagblatt vom 16. November 1918

Die Jahre der Gründung und die 1920er-Jahre

Am 13. November 1918 wurde in Lichtenfels der SPD-Ortsverein gegründet. Der November 1918 war eine Zeit des großen Umbruchs in Deutschland. In diesem Monat ging der Erste Weltkrieg zu Ende, und die Novemberrevolution vom 9. November 1918 brachte den Wechsel von der Monarchie zur Republik. Es war eine Zeit der Unsicherheit, da heftige Auseinandersetzungen darüber bestanden, ob und wie die neue Republik gestaltet werden sollte. Es war auch eine Zeit der großen menschlichen, wirtschaftlichen und sozialen Not nach einem langen, grausamen und verlorenen Krieg.

Der Gründungsversammlung der Lichtenfelser SPD gingen drei Zeitungsanzeigen im Lichtenfelser Tagblatt voraus*. Auch wenn über die Versammlung selbst kein Bericht vorliegt, ist sicher, dass es an diesem Abend zur Gründung der Lichtenfelser SPD gekommen ist, und der Korbwarenfabrikant Leonhard Moll zum Vorsitzenden gewählt wurde. Am 16. November ist im Lichtenfelser Tagblatt eine Anzeige zu finden, in der die „Sozialdemokratische Partei Sektion Lichtenfels“ zu einer Mitgliederversammlung einlädt. Eine zweite Mitgliederversammlung fand im Gründungsjahr am 23. Dezember 1918 ebenfalls in der Gaststätte „Bürgerbräu“ statt.

Die „Räte“ in Lichtenfels In kurzer Zeit von Ende November bis Ende Dezember 1918 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit der von den Sozialdemokraten geforderten und gebildeten Arbeiter-, Bauern- und Bürgerräten und deren Zusammensetzung. Die Heftigkeit der Auseinandersetzungen war vor allem in der Person Leonhard Moll begründet, der in dieser Zeit in mehreren Leserbriefen im Lichtenfelser Tagblatt seine Meinung äußerte und darüber hinaus auch lautstark auf mehreren Versammlungen auftrat. Die eingesetzten „Räte“ waren ohne rechtliche oder demokratische Legitimation und standen in Konkurrenz zu den gewählten Gremien. Sie hatten eine beratende Funktion etwa bis zur Kommunalwahl im Juni 1919.

Im Januar 1919 wurde sowohl der bayerische Landtag, als auch die Nationalversammlung gewählt. Die Lichtenfelser SPD veranstaltete dazu Wahlveranstaltungen und Versammlungen. Es sind in den Zeitungsausgaben auch Anzeigen und Leserbriefe zu finden. In der Zusammenschau setzten sich die Sozialdemokraten in dieser Zeit für die Republik ein und wandten sich entschieden gegen aufkeimende antidemokratische oder monarchistische Kräfte.

Als die SPD in Lichtenfels die Kirchenglocken läutete Im Winter und Frühjahr 1919 kam es in München zu politischen Gewalttaten extremer Kräfte. Im Februar 1919 wurde in München der Ministerpräsident Kurt Eisner von einem Rechtsextremisten erschossen. Im April 1919 wurde in München von Linksextremisten die Räterepublik ausgerufen, wobei es zu Kämpfen und politischen Morden auf beiden Seiten kam. Die bayerische Regierung unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsident Johannes Hoffmann floh in dieser Zeit aus München und regierte den Freistaat von Bamberg aus.

Das Lichtenfelser Tagblatt berichtet in seiner Ausgabe vom 27. Februar 1919 über die in Lichtenfels abgehaltene Trauerfeier für den am 21. Februar 1919 ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Danach gab es einen vom „Bürgerbräu“ ausgehenden Trauerzug unter Hagelschauer und Glockengeläut. Leonhard Moll hielt eine Ansprache. Wie es zu dem Glockengeläut kam, ist im Lichtenfelser Tagblatt überliefert: Abordnungen der sozialdemokratischen Sektion erwirkten bei den Pfarrämtern unter Androhung von Gewalt die Herausgabe der Schlüssel und vollzogen das Geläut unter Protest der Pfarrämter selbst. Dies führte zu „lebhaftem Befremden“ in „kirchentreuen Bevölkerungskreisen“.

Dagegen riefen in Lichtenfels alle demokratischen Parteien (Bayerische Volkspartei, Deutsche Demokratische Partei und die SPD) zu einer gemeinsamen Protestkundgebung im Schützenhaus auf, als zwei Monate später in München eine politische Minderheit Bayern gewaltsam in eine Räterepublik verwandeln wollte.

Im Juni 1919 fanden in Lichtenfels Kommunalwahlen statt. Leonhard Moll ging für die SPD als Bürgermeisterkandidat ins Rennen und unterlag mit 318 Stimmen gegen den Amtsinhaber Andreas Mahr (1117 Stimmen). Trotzdem konnte die SPD als neue politische Kraft in Lichtenfels einen beachtlichen Erfolg erzielen und stellte mit Leonhard Moll, Andreas Kraus, Georg Knab und Georg Morgenrot vier von 20 Stadträten.

Otto Bamberger – Ein Korbwarenhändler kandidiert für die SPD Der Lichtenfelser Bürger, Geschäftsmann und Korbwarenfabrikant Otto Bamberger war SPD-Mitglied und kandierte bei der Kommunalwahl 1919 auf Listenplatz 6 für die SPD in Lichtenfels. Er rechtfertigte seine Mitgliedschaft in der SPD in einem Leserbrief im Lichtenfelser Tagblatt. Otto Bamberger war Gesellschafter und Geschäftsführer der Korbwarenfirma „D. Bamberger“ in Lichtenfels, die weltweit Geschäftsbeziehungen pflegte. Darüber hinaus war er Kunstsammler, Freund und Mäzen bedeutender Künstler sowie Anhänger und Unterstützer der Bauhaus-Schule. Otto Bamberger war jüdischen Glaubens und wurde 1933 durch die Nazis in Haft genommen und starb (wohl auch in Folge der Haft) kurze Zeit später. Quelle: Klaus Bamberger, „Aus der Geschichte der Familie Bamberger“; Stadtarchiv Lichtenfels 2005

Im Herbst 1919 kam es in Lichtenfels zu einer Spaltung der sozialdemokratischen Partei in die SPD und die unabhängige sozialdemokratische Partei. Die beiden Ortsvereine schlossen sich im Herbst 1922 wieder zusammen.

Im Juni 1920 wurde Leonhard Moll bei der Landtagswahl in den bayerischen Landtag gewählt. Dies war ein großer Erfolg für die Lichtenfelser SPD, denn der Ortsverein war bei der Wahl noch nicht mal zwei Jahre alt. Nach der Wahl in den Landtag trat Leonhard Moll von seinem Amt als Vorsitzender des SPD-Ortsvereins zurück, sein Nachfolger wurde Karl Braun. Im Jahr 1922 legte Leonhard Moll auch sein Amt als Stadtrat nieder und zog sich – obwohl er ja ein Landtagsmandat für die Wahlperiode 1920 bis 1924 hatte – mehr und mehr aus Lichtenfels zurück. An seiner Stelle wurde mit Helene Sievers – Inhaberin eines Modegeschäfts am Unteren Tor – erstmals eine Frau Mitglied im Stadtrat der Stadt Lichtenfels.

Leonhard Moll – der erste Vorsitzende der Lichtenfelser SPD Leonhard Moll war der Mann der ersten Stunde und von 1918 bis 1920 der erste Vorsitzende der Lichtenfelser SPD. Leonhard Moll war gelernter Korbmacher und hatte in seinem Leben an verschiedenen Orten gewirkt. Er wurde im Jahr 1874 in Rothenburg ob der Tauber geboren und war erstmals in Ansbach gewerkschaftlich und politisch für die SPD aktiv (1908 bis 1911 Mitglied des Gemeindekollegiums Ansbach). Moll war von 1916 bis (offiziell) 1925 in Lichtenfels wohnhaft; 1919 bis 1922 Mitglied des Lichtenfelser Stadtrates und von 1920 bis 1924 Mitglied des Bayerischen Landtages. 1919 kandidierte er für das Amt des Lichtenfelser Bürgermeisters. Über die Gründe für den Wegzug Molls mit seiner Familie aus Lichtenfels ist nichts bekannt. Leonhard Moll wohnte nach seiner Lichtenfelser Zeit in München und später in Pfaffenhofen an der Illm, wo er 1936 starb. Leonhard Moll war für eine kurze Zeit die bestimmende und antreibende Figur der SPD in Lichtenfels. Aus seinen Leserbriefen und den vielen Zeitungsartikeln geht hervor, dass er energisch und streitbar für seine Positionen eintrat und seine Standpunkte auch zu verteidigten wusste.

*Helene Sievers – die erste Frau im Lichtenfelser Stadtrat Helene Sievers wurde 1882 in Braunschweig geboren und betrieb in Lichtenfels am Unteren Tor im Anwesen Bamberger Straße 4 einen Modesalon. Sie zog als Nachrückerin für Leonhard Moll im Jahr 1922 in den Lichtenfelser Stadtrat ein und war damit die erste Frau im Stadtrat. Sie wurde für die Wahlperiode 1924 bis 1929 wieder für die SPD in den Stadtrat gewählt. Sie gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Lichtenfelser SPD und arbeitete in den 1920er Jahren als Schriftführerin im Vorstand des Ortsvereins.

Als Helene Sievers im Mai 1951 starb, würdigte sie das Lichtenfelser Tagblatt in einem Nachruf als großzügigen und klaren Menschen mit einem gütigen Wesen. Gleichzeitig sei sie eine unbeirrbare Bekennerin ihrer politischen Grundsätze gewesen, deren schönste politische Eigenschaft die Toleranz gewesen sei.

Sowohl Leonhard Moll als auch Helene Sievers stammten nicht aus Lichtenfels und gehörten auch beide als Gewerbetreibende nicht zum typischen Wählerklientel der SPD jener Zeit.*

Bei den beiden Kommunalwahlen in den Jahren 1924 und 1929 konnte die SPD nicht mehr an das gute Abschneiden aus dem Jahr 1919 anknüpfen. Im Jahr 1924 erlitt die SPD bei der Kommunalwahl eine Niederlage und verlor zwei ihrer vier Sitze im Stadtrat. Die SPD vertraten von 1924 bis 1929 Helene Sievers und der Vorarbeiter Georg Nagengast. Über das Abstimmverhalten der sozialdemokratischen Wählerschaft können nur Vermutungen angestellt werden. Vielleicht waren die Wähler durch den abrupten Abgang Leonhard Molls aus Lichtenfels verärgert.

Im Jahr 1929 wurde die bis dahin selbständige Gemeinde Burgberg nach Lichtenfels zum 1. Oktober 1929 eingemeindet. Bei den im Dezember 1929 stattfindenden Kommunalwahlen konnte die SPD ihr Ergebnis aus dem Jahr 1924 nicht verbessern. In den Stadtrat wurden Johann Geldner (er war bis zur Eingemeindung bereits Gemeinderat der Gemeinde Burgberg) und Baptist Fraunholz für die SPD gewählt.

Baptist Fraunholz (1895 – 1945) war Lokomotivführer und kam als gebürtiger Münchner berufsbedingt im Jahr 1915 nach Lichtenfels. Er war für die SPD im Stadtrat von 1929 bis 1933 vertreten. Fraunholz verlor im Februar 1945 beim Luftangriff auf den Güterbahnhof in Lichtenfels im Dienst für die Bahn sein Leben. Seine Enkelin Monika Faber berichtet, dass er bei diversen Bombardierungen im frontnahen Einsatz als Lokomotivführer sein Gehör verloren hatte und danach im Innendienst am Lichtenfelser Güterbahnhof eingesetzt war. Offenbar hatte er den Fliegeralarm nicht gehört und wurde an seinem Arbeitsplatz sitzend leblos aufgefunden. Im Holzschuppen der Familie Fraunholz wurde die Bibliothek des Ortsvereins versteckt und über die NS-Diktatur hinaus bewahrt.

Die Lichtenfelser Sozialdemokraten organisierten in den 1920er-Jahren viele Versammlungen und Veranstaltungen. Hier seien beispielhaft einige herausgegriffen:

Im Jahr 1921 rief die SPD Lichtenfels zusammen mit anderen Gruppen und Organisationen am 1. August im Schützenhaus zu einer Kundgebung mit dem Titel „Nie wieder Krieg“ auf. Auf dieser Veranstaltung sprach auch der spätere Bundesjustizminister und FDP Vorsitzende und gebürtige Lichtenfelser Dr. Thomas Dehler.

Am 13. November 1922 rief der SPD Ortsverein Lichtenfels zu einer Volksversammlung gegen die „Judenhetze“ auf und im Dezember 1922 folgte eine Versammlung mit dem Thema „Die Feinde der Republik“. Im Dezember 1922 beantragte die SPD Fraktion im Stadtrat „Sicherheitsmaßnahmen zum Schutze der Bevölkerung gegen die antisemitische Bewegung“.

Im Jahr 1927 lud die SPD in Lichtenfels zu einer Veranstaltung mit dem Titel „Christentum und Sozialismus“ ein. Redner war der evangelische Pfarrer und Sozialdemokrat Emil Fuchs aus Eisenach, dessen Sohn Klaus Emil Julius Fuchs einige Jahre später als Atomspion bekannt werden sollte.

Themen der Sozialdemokraten waren in diesen Jahren das Frauenwahlrecht, die Versorgung mit Wohnraum und Lebensmitteln und die Begrenzung der Arbeitszeit auf acht Stunden.

Vorsitzender war ab 1922 Peter Fischer als Nachfolger von Karl Braun. Im Jahr 1926 wurde der Schreiner Christof Lieb Vorsitzender des Ortsvereins. Ihm folgte einige Jahre später der Schreiner Karl Deumlich.

Autor: Martin Dollak