Ein politisches Leben

Winfred Bogdahn

Mein Vater Winfred Bogdahn war aus meiner Sicht das, was man einen politischen Menschen nennen muss. 1952 geboren als erstes Kind Kriegsvertriebener wuchs er in einfachen Verhältnissen auf. Damals war es nicht selbstverständlich, dass ein Arbeitersohn in den 1960er-Jahren sein Abitur macht, studiert und abschließend als Lehrer verbeamtet wird. Er hat damit niemals geprahlt, das wäre auch nicht seine Art gewesen, aber ich habe immer gespürt, dass er stolz auf seinen Lebensweg gewesen ist. Ich denke das ist wichtig, um meinen Vater als politischen Menschen zu verstehen:

Seine Motivation sich politisch einzubringen resultierte aus einem tief wurzelnden Gefühl, dass es die Kindergenerationen besser haben sollen als die Elterngenerationen.

Gleiche Chancen auf Fort- und Ausbildung, Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg, faire Verteilung von Vermögen - das waren die großen Triebfedern seines frühen politischen Engagements in Schüler- und Studentengruppen. Als er als Student und begeisterter Willy Brandt Anhänger dann in den 1970er Jahren für den MdL Otto Schuhmann im Büro jobbte und gemeinsam mit dem MdB Günther Verheugen Wahlkampf machte, erhielt er einen tiefen Einblick in die Arbeit politischer Mandatsträger, sowohl auf lokaler, als auch auf überregionaler Ebene. Er hat mir mal gesagt, dass er sich damals gut hätte vorstellen können, für den Landtag oder den Bundestag zu kandidieren. Vielleicht waren die Geburt seiner Kinder zu Beginn der 1980er Jahre oder auch die engen familiären Beziehungen, die er in seiner Heimat im Obermaintal hatte Gründe dafür, dass er sich anders entschieden hat. Ich denke man kann auch ohne die parteipolitische Brille aufzusetzen mit Fug und Recht sagen, dass an ihm ansonsten ein formidabler Lokalpolitiker verloren gegangen wäre.

Während der Recherchen für diese Chronik durfte ich die 1970er und 1980er Jahre übernehmen und ich habe viel über meinen Vater und seine Arbeit, vor allem in den 1980er Jahren, gelernt. An manche Infostände, Wanderungen und Parteitage kann ich mich noch erinnern und viele politische Weggefährten meines Vaters hatte ich beim lesen der Namen vor meinem geistigen Auge. Es war für uns als Kinder auf jeden Fall normal in der Innenstadt Wahlprospekte, Ballons und Kugelschreiber zu verteilen, wenn wieder eine Wahl anstand. Nicht immer haben wir das mit der gleichen Leidenschaft und dem gleichen Enthusiasmus gemacht wie unser Vater, aber es gehörte irgendwie dazu. Neu waren für mich aber die Grabenkämpfe, die zwischen der CSU- und der SPD-Fraktion in den 80er Jahren geführt wurden. Hier prallten denke ich mehr als zwei unterschiedliche Ansichten aufeinander. Hier war auch Persönliches im Spiel. Diese Grabenkämpfe wirkten auf jeden Fall noch in die 1990er Jahre nach und brachen während der Amtszeiten meines Vaters immer wieder auf. Der „Sozi“ musste trotz vieler guter Ideen und großem Antrieb einfach immer gegen einen CSU geführten Stadtrat argumentieren.

Mit der Wahl meines Vaters zum Bürgermeister änderte sich natürlich viel für unsere Familie. Wer Winfred Bogdahn näher kannte, der wird bestätigen können, dass halbe Sachen nicht so sein Ding gewesen sind. Er wusste, dass er in der neuen Position die Geschicke der Stadt steuern und lenken kann und damit spürbare Verbesserungen für die Bürgerinnen und Bürger von Lichtenfels auslösen kann. Als politischer Mensch stürzte er sich buchstäblich in seine Arbeit als Stadtoberhaupt. Siebzigstundenwochen waren da eher die Regel als die Ausnahme. Und die Wochenenden waren natürlich auch immer vollgepackt mit Terminen. Aber eins lies er sich nicht nehmen: Zum Mittagessen, wenn wir von der Schule nach Hause kamen, war er da und aß mit uns. Heute, mit eigenem Kind und verantwortungsvollem Job, kann ich das erst richtig würdigen.

In den Jahren seiner Amtszeit war ich noch recht jung und konnte viele seiner politischen Entscheidungen und Wege erst viele Jahre später mit ihm besprechen und diskutieren. Dass er freiwillig auf zwei Jahre seiner ersten Amtszeit verzichtete, um Bürgermeister- und Stadtratswahlen zur Kostenersparnis wieder an einem Termin stattfinden lassen zu können, habe ich immer komisch gefunden. Aber so war er – tatsächlich uneigennützig. Es ist aus meiner Sicht auch einer der Aspekte, die bei der Bewertung seiner Arbeit als Bürgermeister gerne vergessen wird. Trotz der vielen positiven Veränderungen, die er für Lichtenfels auf den Weg gebracht hat, wurde er im Jahr 2002 abgewählt. Vermutlich waren die Querelen um die Innenstadtgestaltung ausschlaggebend für das Votum der Wählerinnen und Wähler. Doch die Kritik an ihm und den getroffenen Entscheidungen kamen nicht nur vom politischen Gegner. Auch aus der eigenen Partei wurden ihm Steine in den Weg gelegt oder auch die Unterstützung im Wahlkampf versagt. Mit Sicherheit war mein Vater daran auch nicht unschuldig. Wenn er von etwas überzeugt, wirklich überzeugt, gewesen ist, dann konnte er auch stur und starrköpfig sein. Andere Meinungen hörte er sich dann zwar geduldig an, am Ende war er aber dennoch der Überzeugung, dass die eigene Sichtweise die Beste wäre. Vielleicht hätte er mit mehr Kompromissen und mehr Zugeständnissen eine dritte Amtszeit erreichen können. Man wird es nicht erfahren.

Die Abwahl war für ihn sicherlich eine der schwierigsten Erfahrungen seines Lebens. Er war zuvor der festen Überzeugung, das Bestmögliche für die Stadt getan zu haben. Auch in Übereinstimmung mit einem Stadtrat, der viele Entscheidungen mitgetragen hat. Dass dieser hohe Einsatz und die viele Arbeit dann nicht von den Wählerinnen und Wählern honoriert wurden, ging ihm in den ersten Wochen wirklich nahe. Es war eine persönliche Niederlage für ihn. Seine anschließende Arbeit im Stadtrat und als Fraktionschef und die Richtung in die sich Lichtenfels entwickelte haben ihn dann davon überzeugt, dass er es besser machen könne. Dass sich Lichtenfels mit ihm an der Stadtspitze besser entwickeln würde. Die zweite Niederlage 2008 fühlte sich dann für uns als Familie und ich glaube auch für ihn selbst nicht mehr ganz so schlimm an. Freilich hatte man einen anderen Ausgang erhofft, aber sein Beruf als Lehrer am Gymnasium in Burgkunstadt machte ihm große Freude, er hatte viel mehr Zeit für seine Familie und Freunde und nicht zuletzt die ersten Enkelkinder, die in den Folgejahren kamen, haben viel von dem alten Ärger überdeckt und ihn zufriedener werden lassen. Natürlich konnte er noch brennen, bei Entscheidungen, die aus seiner Sicht falsch waren, aber er äußerte sich bedachter und weniger emotional, als das vielleicht zehn Jahre zuvor noch der Fall gewesen wäre. So gesehen hatten diese Niederlagen für uns als Familie und ich glaube auch für ihn am Ende doch auch positive Seiten.

Monika Faber hat in Ihrer Würdigung von Winfred Bogdahn auf einige Projekte hingewiesen, die er in seinen beiden Amtszeiten angestoßen und verwirklicht hat. Ich denke seine Handschrift kann man heute und auf viele Jahre hinaus in der Stadt und den Ortsteilen sehen. Manchmal ganz offensichtlich (wie die Marktplatz- und Innenstadtgestaltung), manchmal ganz spielerisch (wie viele Kinderspielplätze, die er erneuern lies), manchmal auch ganz unauffällig (wie bspw. Kläranlagen). Aber er hat in diesen nur zehn Jahren Amtszeit als Bürgermeister der Stadt Lichtenfels die Stadt und das Leben der Bürgerinnen und Bürger geprägt, wie kaum jemand vor ihm. Als Sohn kann ich nur sagen, dass ich auf diese Leistungen meines Vaters unglaublich stolz bin. Sein Einsatz für die Gemeinschaft, für die Bürgerinnen und Bürger von Lichtenfels beeindrucken mich auch heute noch. Und das was ich von ihm lernen durfte ist Richtschnur für mein Leben und Handeln geworden.

– Autor: Philip Bogdahn –